Hunde als Therapiebegleiter
„Schaffen Sie sich einen Hund an.“ – wie absurd erscheint diese Empfehlung, die eine Klinikärztin einer Patientin gab, die tief in der Depression steckte, immer wieder mit Suizidgedanken kämpfte, seit siebzehn Wochen in der Klinik war UND ANGST VOR HUNDEN HATTE. Diese Patientin war ich. Heute, nach sechs Jahren, bin ich Hundetrainerin – und ich lebe noch!
Angefangen hatte alles mit einem zünftigen Burnout. Ich war ein Workaholic, erlitt 2005 den Absturz ins Bodenlose: Notaufnahme in der Charité Berlin – die schwärzeste Zeit meines Lebens begann.
Depressionen – bis dahin kannte ich nur den Namen dieser Krankheit, nun erlebte ich sie mit all ihren schrecklichen Symptomen. Totale körperliche Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Denkstörungen, Selbstentwertung bis hin zum Selbsthass, Gedankenschleifen, Selbstisolation, schwarze Zukunftsgedanken, Suizidgedanken. Immer wieder Klinikaufenthalte zur Stabilisierung und später auch zur Bearbeitung traumatischer Kindheitserfahrungen, die ich über Jahrzehnte tief in mir verschlossen hatte.
Und der Hund? Der wurde für mich zum Therapiehund. Ich besiegte meine Angst vor Hunden und – noch wichtiger, weil existenzieller – meine Depression, meine Suizidgedanken. Und ich baute mir zusätzlich durch ihn eine neue Zukunftsperspektive auf, Hundetrainerin statt Lehrerin – ein guter Tausch.
Wie kann ein Hund einem depressiven Menschen helfen?
- Depressive Menschen haben oft Probleme, ihren Alltag zu strukturieren.
Ein Hund verpflichtet zur Struktur, zumindest in einem gewissen Maße. Der Hund hat Bedürfnisse, deren Befriedigung er auch einfordert. Damit sind nicht nur die Grundbedürfnisse gemeint, wie das Rausgehen zur Entleerung des Darms und der Blase sowie das Fressen. Ein Hund braucht Beschäftigung, will Kontakt mit seinem Menschen. Ich erinnere mich an Situationen, in denen ich stundenlang antriebslos vor mich hinstarrte, grübelte, nichts tat.
Mein Hund, damals noch ein kleiner fröhlicher Labradorwelpe, schleppte immer und immer wieder sein Spielzeug an, eines nach dem anderen. Spätestens beim zehnten Spielzeug, das er mir schwanzwedelnd auf den Bauch legte, raffte ich mich auf. Der Hund hatte gewonnen und ich konnte für einen Augenblick meinen schwarzen Gedanken entfliehen. Jeden Tag das gleiche Spiel und jeden Tag für eine gewisse Zeit weg von den schwarzen Gedankenschleifen!
- Depressive Menschen ziehen sich zunehmend aus der Gesellschaft zurück, meiden Kontakte, entwickeln dadurch oft Ängste.
Ist man Halter eines Hundes kommt man zwangsläufig in Kontakt mit Menschen, ob man will oder nicht, und das ist für einen depressiven Menschen gut so. Hunde sind Kontaktmagnete! Wie oft bin ich mit meinem Hund durch das nahe gelegene Waldstück gelaufen und hatte dabei die Hoffnung, keinem Menschen zu begegnen, da ich wieder einmal der Meinung war, dass ich sie nicht aushalten würde.
Bei Spaziergängern ohne Hund klappt das halbwegs, die gehen einfach vorbei. Meistens! Gewinnt jedoch der kleine Welpe durch sein fröhliches und unbedarftes Wesen die Zuneigung des „hundlosen“ Spaziergängers, dann ist man schneller in ein Gespräch verwickelt als man glaubt. Die Wahrscheinlichkeit eines Gesprächs steigt noch mehr, wenn der Spaziergänger einen Hund mit sich führt.
Ja klar, sicher kann man seinen Hund am anderen vorbeizerren, aber das tut man im Allgemeinen nicht. Man bleibt kurz stehen, damit sich die Hunde beschnuppern können (Die haben nämlich keine Depression, sondern nur ihre tierischen Triebe. Und Schnuppern muss wenigstens sein, damit man weiß, wer da den Weg kreuzt!). Schnell sind die Hunde abgeleint, man schaut schweigend dem fröhlichen Spiel zu, dann ein Wort und noch ein Wort, ein kurzes Gespräch. Auf Wiedersehen.
Selbst auf der Straße oder in Geschäften passiert es immer wieder, dass man als Hundehalter angesprochen wird. Und wenn es nur ein kurzes „Och, ist der süß! Wie alt ist der denn?“ ist. Eine knappe Antwort, und schon ist es wieder passiert! Man hatte wieder Kontakt zu einem Menschen.
Auch der Besuch einer Hundeschule, zum Beispiel eines Welpenkurses, hilft ein wenig, sich trotz Depression vor der vollständigen Selbstisolation ein wenig zu schützen. Da ich Ersthundebesitzerin war und Angst hatte, bei meinem Hund alles falsch zu machen, überwand ich mich und besuchte mit meinem Welpen den Welpenkurs einer Hundeschule. Ein wichtiger Schritt zur damaligen Zeit, nicht nur für meinen Hund.
- Depressive Menschen verlieren zunehmend ihr Selbstwertgefühl, oft auch dadurch, dass sie die Erfahrung machen, nicht mehr so „funktionieren“ zu können wie früher, nichts mehr leisten zu können. Sie fühlen sich häufig durch Symptome, die eben zu einer Depression gehören, wie zum Beispiel Konzentrations- und Denkstörungen oder auch ihre Antriebslosigkeit, minderwertig.
Ein Hund kann das Selbstwertgefühl in entscheidendem Maße fördern. Ich war mehr als stolz, als mein kleiner Welpe endlich Sitz auf Kommando machte, sich hinlegte, wenn ich „Platz“, sagte und auf Aufforderung brav die Pfote gab, natürlich die rechte! Mein Hund lernte im Laufe der Zeit immer mehr Kommandos und fröhliche Tricks, was mich nicht nur zufrieden machte, sondern auch in ausreichendem Maße zum Lachen brachte.
- Depressive Menschen fühlen sich oft unverstanden, von aller Welt verlassen und häufig unendlich einsam.
Ein Hund ist anschmiegsam, lässt sich gern streicheln und auch mal richtig durchkuscheln. Er „hört zu“, man kann ihm Dinge erzählen, die man vielleicht nie einem anderen Menschen erzählen würde, und er scheint zu „verstehen“. Ein Hund kann Trost spenden, wenn man nicht weiß, wohin mit seiner ganzen Traurigkeit.
Hunde sind sehr sensibel gegenüber menschlichen Gefühlsregungen. Nicht selten hat sich mein Hund an mich gekuschelt, an mir herumgeleckt oder schwanzwedelnd versucht, mich zum Spielen zu animieren, wenn ich geweint habe, zu Hause, bei meinem Arzt oder meiner Therapeutin. Es ist schon beeindruckend, welch therapeutische Wirkung so ein kleiner Fellfreund auf vier Pfoten haben kann.
Die oben dargestellten Punkte, die für einen Hund als Helfer und Begleiter bei der Behandlung von depressiven Menschen sprechen, sind nur eine Auswahl.
Abschließend sei noch auf folgendes hingewiesen: Neben der Tatsache, dass Hunde tatsächlich für depressive Menschen sehr hilfreiche und wichtige Therapiebegleiter sein können, sollte vor der Anschaffung eines Hundes hundertprozentig abgesichert sein, dass die artgerechte Betreuung des Tieres auch dann DAUERHAFT gewährleistet ist, wenn der Erkrankte nicht in der Lage ist, der Verantwortung, die ein Hund mit sich bringt, gerecht zu werden.
Der wohlgemeinte Versuch, die Therapie eines Depressiven durch die Anschaffung eines Hundes positiv zu fördern, rechtfertigt nicht, dass ein Hund bei Scheitern des Versuches in einem Tierheim landet. Die Familie des Betroffenen sollte sich also der großen Verantwortung bewusst sein, die auch sie mit der Anschaffung eines Hundes für viele Jahre zu tragen haben.